Lesezeit: ca. 4 Minuten
Heutzutage wird scheinbar jeder Aspekt des eigenen Lebens mit dem Leben anderer verglichen. Das Gefühl, "nicht genug" zu sein, ist weit verbreitet. In einem tiefergehenden Gespräch mit Johanna Wojdan, einer Beraterin im Bereich der Selbstwahrnehmung und des persönlichen Wachstums, berichtet sie, wie dieser Gedanke viele ihrer Klienten beeinflusst und welche Schritte unternommen werden können, um sich von diesem lähmenden Glaubenssatz zu befreien.
Die Ursprünge des Vergleichs
Anita Schullerbauer: Johanna, vielen Dank, dass du heute hier bist. Viele Menschen kämpfen mit dem Gefühl, nicht zu genügen. Wie kommt es dazu?
Johanna Wojdan: Es beginnt oft in der Kindheit. Wir lernen durch Beobachtung unserer Umgebung und durch das Feedback, das wir erhalten. Leider neigt unsere Gesellschaft dazu, Erfolg und Wert an äußeren Standards zu messen, was zu ständigen Vergleichen führt. Dies prägt unser Selbstbild und kann zu dauerhaften Zweifeln an unserem eigenen Wert führen.
Der erste Schritt zur Veränderung
Anita Schullerbauer: Du sprichst von einem Prozess der Veränderung. Kannst du diesen Prozess beschreiben?
Johanna Wojdan: Der erste Schritt ist die Entscheidung, sich verändern zu wollen. Dies klingt einfach, ist aber grundlegend. Eine Entscheidung ist dabei mehr als nur ein flüchtiger Wunsch… es ist ein bewusster, fester Entschluss, der einen tiefgreifenden psychologischen Prozess in Gang setzt. Ohne die bewusste Entscheidung, anders denken zu wollen, bleiben wir in unseren gewohnten Denkmustern gefangen.
Wie kann das gelingen, werde ich oft gefragt. Es erfordert den Mut, sich den Spiegel vorzuhalten und die oft unbequeme Wahrheit anzuerkennen, dass Veränderung notwendig ist. Selbstreflexion führt dazu, dass man sich seiner Handlungen, Gedanken und Emotionen bewusstwird und erkennt, welche spezifischen Verhaltensweisen oder Glaubenssätze verändert werden müssen.
Indem man diesen entscheidenden Schritt macht, signalisiert man seinem Gehirn und seiner Psyche, dass man bereit ist, neue Wege zu beschreiten und alte, einschränkende Überzeugungen hinter sich zu lassen. Dies öffnet die Tür zu einem kontinuierlichen Prozess der Veränderung, der durch weitere bewusste Entscheidungen und Handlungen geprägt wird.
Gedanken als vorübergehende Besucher
Anita Schullerbauer: Du berichtest, deine Klienten tragen oftmals lähmende Gedanken mit sich, wie gehst du damit um?
Johanna Wojdan: In unseren Gesprächen ermutige ich meine Klienten immer wieder, ihre Gedanken als das zu betrachten, was sie wirklich sind – flüchtige und wandelbare Eindrücke, die kommen und gehen.
Ich empfehle ihnen, ein einfaches, aber kraftvolles Werkzeug zu nutzen: das Schreiben. Indem sie ihre Gedanken zu Papier bringen und diese anschließend laut vorlesen, erleben sie oft so etwas wie eine Offenbarung. Plötzlich wird klar, wie viele der belastenden Gedanken bei genauerer Betrachtung kaum eine Grundlage haben und eher flüchtige Wolken am Himmel sind, die schnell vorüberziehen, wenn ich dieses Bild gebrauchen darf.
Dieser Prozess ermöglicht es ihnen, einen Schritt zurückzutreten und ihre Gedanken aus einer neuen Perspektive zu betrachten, wodurch sie lernen, diese nicht als unumstößliche Wahrheiten zu akzeptieren. So gewinnen sie Abstand und können beginnen, ihre Gedankenmuster bewusst zu steuern und zu gestalten.
Kleine Ziele setzen
Anita Schullerbauer: Welche praktischen Schritte empfiehlst du als nächstes?
Johanna Wojdan: Der Aufbau von Selbstwert ist wie das Bauen einer Stadt: Es geschieht nicht über Nacht. Ich rate, mit kleinen, erreichbaren Zielen zu beginnen. Dies könnte so einfach sein wie die tägliche Affirmation, sich selbst zu lieben und zu akzeptieren, oder regelmäßige Treffen mit unterstützenden Freunden. Aber das ist sehr individuell – jeder Mensch ist anders und entsprechend unterschiedlich sind meine Gedanken für ihn zu diesem Thema.
Der Einfluss von positivem Umfeld
Anita Schullerbauer: Wie wichtig ist das soziale Umfeld in diesem Prozess?
Johanna Wojdan: Äußerst wichtig. Umgeben von Menschen, die uns unterstützen und unsere Bemühungen würdigen, können wir leichter negative Selbstgespräche überwinden. Es ist entscheidend, sich von toxischen Beziehungen zu lösen, die unser Selbstbild untergraben.
Anita Schullerbauer: Was nennst du eine toxische Beziehung?
Johanna Wojdan: Eine toxische Beziehung ist im Grunde jede Art von Beziehung, die regelmäßig Ihre Energie raubt, Ihr Selbstwertgefühl untergräbt oder Sie emotional erschöpft zurücklässt. Es gibt einige klare Anzeichen, die darauf hindeuten können.
Zum Beispiel kann eine toxische Beziehung durch ständige Kritik gekennzeichnet sein. Nehmen wir an, jemand hat einen Freund, der seine Leistungen ständig herabsetzt oder negativ über seine Entscheidungen spricht, selbst wenn diese positiv für ihn sind. Dies kann das Selbstwertgefühl erheblich beeinträchtigen und zu einem Gefühl der Unzulänglichkeit führen.
Ein weiteres Beispiel ist die emotionale Manipulation, bei der eine Person ihre Emotionen oder Zuneigung als Mittel einsetzt, um Kontrolle über den anderen auszuüben. Das kann in Form von Schuldzuweisungen geschehen, wie: „Wenn du mich wirklich lieben würdest, würdest du das tun.“ Solche Aussagen können erheblichen Druck ausüben und die Fähigkeit einer Person, unabhängige Entscheidungen zu treffen, stark beeinträchtigen.
In beiden Fällen wird die Dynamik der Beziehung dazu verwendet, die eine Person kleinzuhalten und ihre Entwicklung zu behindern, statt sie zu unterstützen und zu fördern.
Die Macht der Selbstliebe
Anita Schullerbauer: Und wie steht es mit der Selbstliebe?
Johanna Wojdan: Selbstliebe ist der Schlüssel. Eine meiner Klientinnen trug ein Armband mit der Aufschrift „Ich bin wichtig“ auf Hawaiianisch. Es war eine ständige, subtile Erinnerung an ihren Wert, die nur sie verstand. Solche persönlichen Symbole können sehr kraftvoll sein, um das tägliche Bekenntnis zur Selbstliebe zu stärken.